Es gibt Tage am Rad, da wollen wir drüber gehen. Alles, was zählt, ist dass die Beine arbeiten. Die Landschaft schnell an uns vorbeizieht. Der Kopf Pause hat. Ich würde mal meinen, an solchen Tagen ist es meist zweitrangig, wo ich meine Ausfahrt plane. Denn ich will mich fühlen wie Pogi – die Umgebung ist irrelevant. Und dann gibt es Tage, da sehnen wir uns nach Entschleunigung. Und ebenfalls nach einer Pause für den Kopf, nur eben eine, die es mir erlaubt, langsamer zu werden und innere Ruhe zu finden.
Ich möchte mich also so weit wie möglich vom Verkehr wegbewegen, ungestört sein. Idealerweise setze ich mich in dem Fall auf’s Gravel Bike. Sollte ich das aber nicht zur Hand haben, gibt es auch auf Mallorca andere Wege. Hoch leben die Camís. Ich möchte euch heute eine besondere Route vorstellen – 100 Kilometer fast abseits der Hauptstraßen.
Die Camís finden sich über die ganze Insel verteilt und erlauben ein Fahrraderlebnis abseits des Verkehrs. Ich habe mir eine besonders schöne Route zusammengestellt, die einige kleinere, abgelegenere Orte miteinander verbindet. Caimari ist wohl der Ort, den man am Besten kennt, denn dahinter liegt der Coll de sa Batalla, von wo ihr weiter zum berühmten Anstieg von Sa Calobra oder aber auch zum Puig Major kommt. Doch inmitten der Olivenhaine verbergen sich noch einige wunderschöne Dörfer, die sich mit ihren Steinfassaden und bunten Fensterläden malerisch in die Landschaft einfügen.





Auch an Tagen, an denen alles Grau in Grau scheint, erstrahlt Mallorca in verschiedenen Farben. Ob es nun das satte Grün ist oder die Farbakzente der Frühlingsblüte, du musst nur aufmerksam hinschauen. Wenn ich einen Ort aus der Ferne sehe und weiß, da bringen mich meine Beine hin, spüre ich schon meine Aufregung. Was gibt es zu entdecken? Gibt es ein einladendes Café? Welche Geräusche und Farben verbergen sind im Herzen des Ortes?
Schafe – die wahren Einheimischen
Ich bin die Route zweimal abgefahren und durfte sie einmal in einer besonderen, wolkenbedeckten Stimmung und einmal unter Sonnenschein erleben. Dabei bekommt man auch zu spüren, was zwei, drei Wochen für einen Unterschied ausmachen können. Die Flora und Fauna verändert sich, und bei meiner zweiten Ausfahrt Ende März begegne ich bereits wesentlich mehr anderen Radfahrerinnen. Vermutlich auch, weil sich nach einer langen Regenphase endlich wieder die Sonne blicken lässt. Auf den Camís begegnet ihr also vor allem weiteren Radsportbegeisterten – und nicht zu vergessen, den wahren Einheimischen, den Schafen. Autos befahren die Wege eher selten. Ihr findet also auf jeden Fall einiges an Ruhe, nehmt aber zusätzlich in Kauf, dass der Asphalt an manchen Stellen in sehr schlechtem Zustand ist. Aber genau das suche ich auf dieser Strecke – Tempo raus, Erleben an.



Für mich mit die schönsten Begegnungen sind jene mit den ruhigsten Einheimischen – den Schafen.
Sie prägen das Landschaftsbild während ihr auf den Camís unterwegs seid, und mit etwas Glück
trefft ihr auf ein paar neugierige Vierbeiner.
Alles wird grün und ruhig
Zu Beginn folgt man lange der Hauptstraße bis nach Bunyola. Es gibt hier allerdings einen breiten Fahrradstreifen, der das Sicherheitsgefühl deutlich erhöht. Insgesamt erlebe ich den Verkehr und den Umgang mit Fahrradfahrerinnen auf Mallorca als sehr respektvoll. Wenn ihr im Ortskern die MA 2020 verlässt und weiter auf der MA 2100 fahrt, befindet ihr euch bereits in der Ruheoase auf dem Weg zum Coll de Honor. Mit jedem Kilometer wird die Atmung, trotz Anstieg, ruhiger. Die Umgebung wird grüner. Es fühlt sich fast wie Waldbaden auf dem Fahrrad an. Die Serpentinen zum Ziel des Anstiegs und jene, die dich Richtung Coll de Orient bringen, liefern besonders schöne Ausblicke und Motive. Wenn ich mit meiner Kamera unterwegs bin, bringe ich automatisch noch mehr Ruhe in meine Ausfahrt. Ich fahre noch aufmerksamer durch meine Umgebung, immer auf der Suche nach passenden Aufnahmen. Immer wieder habe ich das Glück, dass unbekannte Radfahrerinnen in der Ferne meinen Bildern das gewisse Etwas verleihen, wenn sie wie Ameisen in der großen Landschaft erscheinen. Oft fragen mich Menschen, ob ich es nicht leid bin, das zusätzliche Gepäck so oft mitzutragen. Doch noch in jedem Fall war ich glücklich, meine Kamera mit dabei zu haben und unvergessliche Momente einzufangen. Und gleichzeitig fühle ich mich dadurch immer automatisch aufmerksamer, bereit, die Besonderheiten meiner Umgebung wahrzunehmen.






Ob verlassene Anwesen oder Fincas mitten im Nirgendwo – beides lädt zum Träumen ein und hilft mir, in meinen Gedanken zu ruhen. Ich male mir aus, wer hier leben oder gelebt haben könnte. Die Camís verlaufen großteils weg von den Hauptverkehrsachsen und erlauben dir, umgeben von Grün, dich genau diesen Tagträumen hinzugeben.
Das Stück zwischen Coll de Honor und Coll de Orient ist wohl asphalttechnisch eines der schlechtesten. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, und in den letzten Wochen durfte ich auf Mallorca einige Straßenerneuerungen miterleben. Vom Coll de Orient führt eine rasante Abfahrt Richtung Alaró ehe wir Richtung Lloseta über den Coll de Tofla abbiegen. Von Lloseta geht es weiter nach Mancor de la Vall, einen Ort, den ich lange nicht kannte und eher zufällig entdeckt habe. Man fühlt sich hier schon sehr weit weg vom überlaufenen Mallorca. In Mancor angekommen, dürfen wir ein paar extra Höhenmeter sammeln. Es geht rauf zum Santuari de Santa Lucía. Ein kurzer knackiger Anstieg, von dem ich ehrlich gesagt bis zuletzt noch nie gehört habe. Ein paar Serpentinen und Schafbegegnungen weiter, komme ich oben an. Die Sicht reicht bei meiner Fahrt bis nach Inca, meine Aufmerksamkeit liegt aber vor allem auf dem gegenüberliegenden Biniarroi – es dürfte noch abgelegener liegen. Es gibt ehrlicherweise oben nichts Besonderes, ich finde die Schönheit liegt gerade darin, dass hier offenbar nicht so viele Radfahrerinnen vorbei kommen. Ich nehme mir Zeit, um den Blick zu genießen und zu schauen, welche charmanten kleinen Häuser sich in den gegenüberliegenden Hügeln verbergen.





Bei einem köstlichen Karottenkuchen in Santa Maria lasse ich die Eindrücke dieser besonderen Tour Revue passieren. Von den Serpentinen des Coll de Orient über den Anstieg nach Santa Lucía bis hin zu dem imposanten Anblick von Selva – nicht nur meine Speicherkarten sind heute voll, sondern auch mein Herz.
Verlassene Häuser und luxuriöse Anwesen
Von Mancor de la Vall fahren wir nun auf einen der schönsten und ruhigsten Abschnitte der Route, den Camí de Mancor de la Vall a Caimari, der dann mehr oder weniger in den Camí de Binibona mündet. Man erblickt hier immer wieder die kleinen Dörfer inmitten von Grün. Ab und zu sieht man alte, verlassene Häuser oder luxuriöse Anwesen, die zum Träumen einladen. Wer wohnt hier wohl? Was hat sich hinter diesen Steinmauern zugetragen? Wer füllt diese Häuser mit Leben und Liebe?
Über den Camí de Selva geht es bis nach Campanet, wo der Hauptplatz für einen Kaffee- und Kuchenstopp in der Sonne einlädt. Campanet ist der Umkehrpunkt meiner Route – von hier aus geht es auch bereits wieder retour – diesmal über Moscari und Selva. Ein Ort ist charmanter als der andere und wer besonders viel Zeit einplant, findet sich wohl in jedem der kleinen Dörfer einen Platz, um sich mit Kaffee, Cola oder einem Bocadillo für die Weiterfahrt zu stärken. Einmal zurück in Lloseta angekommen, geht es über den Camí des Raiguer zurück nach Santa Maria. Auch dieses Stück ist aufgrund des schlechten Asphalts mit Vorsicht zu genießen.


Campanet ist dank seiner erhöhten Lage schon von der Ferne aus zu erkennen.
Hier gilt es also, Geschwindigkeit rauszunehmen und die Ruhe zu genießen. Meine Route endet in Marratxí, doch in Santa Maria verstecke ich mich vor dem Regen, wärme mich bei einer Tasse Kaffee und Karottenkuchen auf und lasse die Eindrücke dieser besonderen Strecke Revue passieren. Mallorca ist vor allem als Inbegriff des Mediterranen bekannt – und ich verstehe, dass hier ein großer Teil der Schönheit der Insel liegt. Kristallklare Buchten und das glitzernde Meer soweit das Auge reicht. Es braucht nicht lange, um zu verstehen, weshalb diese Insel derartig viele Menschen in den Bann zieht. Doch diese etwas abgelegeneren Teile der Insel, an einem verhangenen Tag, eröffneten mir ganz neue Einblicke in ihre Besonderheit und bieten mir viele Ruheoasen abseits der bekannteren Orte. Wo liegt euer Kraftort in Mallorca?
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INFO
Köstlicher Karottenkuchen in Santa María del Camí: Carrer de l’Església, 13, 07320 Santa Maria del Camí, Illes Balears
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