Sattelgeflüster

Eine persönliche Liebeserklärung ans Fahrradfahren, Fotografieren – und an fantastische Eiscremen.

Mallorca – legendär auch abseits von Sa Calobra

Alle kennen ihn. Alle wollen ihn gefahren sein. Alle verbinden ihn mit Mallorca. Den Anstieg von Sa Calobra. Zugegebenermaßen kann ich den Hype um diesen einzigartigen Streckenabschnitt verstehen. Sa Calobra ist und bleibt legendär und belohnt nicht nur mit spektakulären Aussichten, sondern auch mit einem heiß begehrten Strava-Segment. Die schweren Beine am nächsten Tag gibt’s ebenfalls im Gesamtpaket – Spaß beiseite: Sa Calobra ist toll. Und ja, es fühlt sich gut an, sagen zu können, diesen Anstieg bestritten zu haben. Doch die atemberaubende Landschaft hat auch seinen Preis – der vermehrte Fahrrad- und Autoverkehr macht diese Straße zu einem sehr gefährlichen Abschnitt. 

Da ich das Glück habe, Mallorca intensiver erkunden zu dürfen, möchte ich euch ein paar ruhigere, nicht weniger beeindruckende Anstiege vorstellen.

Coll de Sóller

Der Autoverkehr wird fast zur Gänze umgeleitet. Die alte Straße hinauf auf den Coll de Sóller gehört also ganz den Radfahrern!

Zugegebenermaßen wirst du dir jetzt denken: Coll de Sóller? Das ist auf keinen Fall das, was man unter einem Hidden Gem oder Geheimtipp versteht. Umso besser, wenn er bereits auf deiner Liste steht. Warum der Coll de Sóller so besonders ist? Dank des Tunnels nebenan wird mehr oder weniger der gesamte Autoverkehr nach Sóller umgeleitet. Der Anstieg über die alte Straße gehört also fast ausschließlich den Fahrradfahrerinnen. Eines vorweg: Coll de Sóller ist nicht gleich Coll de Sóller. Der Zustand der Straßen kann in Mallorca sehr stark variieren. Ich würde dir auf jeden Fall empfehlen, den Anstieg von Bunyola kommend zu fahren, da der Asphalt hier oft in schlechtem Zustand ist – Bergabfahren macht hier also eher weniger Spaß.

Umgeben von Serpentinen, Schafen und unglaublichen Ausblicken: Der Coll de Sóller lädt zum Träumen ein.

ZURÜCK ZUM RENNRADGLÜCK. Es ist schwer in Worte zu fassen. Doch wenn der Coll de Sóller in der Morgensonne golden erstrahlt, ich umgeben von Olivenbäumen und Schafen die zahlreichen Serpentinen wahrnehme, geht mir das Herz auf. Ich blicke über die Schulter und entdecke am Horizont das Meer. Die Sicht reicht bis Palma. Diese Ruhe erwartet dich nur circa 20 Kilometer von Palma entfernt. Die Ausblicke auf die Steinterrassen laden zum Träumen ein. Der angenehme Rhythmus des Coll de Sóller erlaubt es dir, diesen zu genießen. Es brennt gerade genug, aber du musst dich nicht Quälen. Das macht den Berg auch perfekt, um Intervalle zu fahren oder einmal All Out hinaufzusprinten. Denn nach der langen Abfahrt Richtung Sóller warten schon der entzückende Ortskern auf dich und dein wohlverdienter Café con Leche mit Gató de Almendra. 

Coll de Honor

Zwischenstopp in der Ruheoase Bunyola, dann geht’s weiter auf den Coll de Honor.

Für mich hat sich Bunyola zu einem meiner Lieblingsorte entwickelt. Eine kleine charmante Ruheoase, die aufgrund ihrer Lage, denke ich, oftmals übersehen wird. Bunyola ist wie ein Transitort für Touristen, die am Weg nach Sóller oder weiter ins Tramuntana-Gebirge sind. Aufgrund der dort vorhandenen Ruhe wirkt es hier auf mich auch ursprünglicher als einige andere Orte. Auch als Radfahrerin am Weg zum Coll de Sóller flitzt man in den meisten Fällen einfach schnell durch. Was man verpasst? Die kleinen einheimischen Cafés, in denen man an jedem noch so kalten Tag die Stammgäste im Freien sitzen sieht. Einen kleinen, aber feinen Hauptlatz – einen herrlichen  Café con leche im S‘Economat. Ein Cruasan de chocolate im Café Es Refugi. Einen Moment der Stille. Die Ruhe vor dem Coll de Honor.

Abgesehen von ein paar anderen Radfahrern begegnet man beim Anstieg auf den Coll de Honor nur Schafen und Ziegen.

Unmittelbar vom Hauptplatz führt die Carrer Major Richtung Berge. Allein die ansteigende Straße ist ein wunderbares Motiv für sich. Wer von hier aus Richtung Coll de Honor lospedalliert, entdeckt die malerischen Gassen des oberen Ortsteiles, bevor der Weg ins ruhige Hinterland führt. Der Coll de Honor erstreckt sich über 6,1 km mit einer durchschnittlichen Steigung von 5,7 %. Auf dem Coll begegnet man im Normalfall neben einzelnen Radfahrerinnen mehrheitlich Ziegen. Also ein perfekter Anstieg zum Genießen, bei dem auf großen Teilen die dichte Bewaldung an heißen Tagen willkommenen Schatten spendet. Besonders die letzten Serpentinen sowie die Serpentinen Richtung Orient – du befindest dich in dem Fall bereits auf der Abfahrt – sind wunderschön. Auf den Straßen ist allerdings definitiv Vorsicht geboten, da der Asphalt oft in grauenvollem Zustand ist.

Coll des Pescadors

Etwas, das wir viel öfter Mal tun sollten: mit dem Rad in den Zug steigen. Den Start der Route verlegen. Uns noch unbekannte Straßen erkunden. Ehrlicherweise, nirgendwo anders ist dies schneller entschieden als in Mallorca. Die Insel hat eine überschaubare Größe und nur eine einzige Zugstrecke. Kurzerhand haben wir unsere Räder gepackt und sind nach Manacor gefahren. In den Zügen Mallorcas gibt es immer jeweils im ersten und letzten Waggon zwei Fahrradstellplätze, und bis auf wenige Ausnahmen dürft ihr die Räder immer mitführen. Informationen dazu findet ihr unter: https://www.tib.org/es/lineas-y-horarios

KÜHLER MORGEN. Einmal in Manacor angekommen, heißt es auch schon in die Pedale treten. Und das so schnell wie möglich, da wir einen nebeligen, noch sehr frischen Morgen erwischt haben. Die ersten paar Kilometer wird nicht viel gesprochen und insgeheim bereue ich es, nicht noch eine Schicht mehr angezogen zu haben. Doch der Nebel lichtet sich schnell und die Sonne entfaltet ihre volle Kraft. Unser erstes Ziel ist Artà, wo wir uns in der Cafeteria Ca‘n Sarasate stärken. Aus der Espressobar mit der dazugehörigen Bäckerei strömt der Duft von Butter und Liebe – ein Zeichen, dass wir uns für das richtige Café entschieden haben. Es ist eine urige kleine Bäckerei, in der wir viele spanische Gästehören – auch immer ein gutes Zeichen. Gut gestärkt geht es zum eigentlichen Ziel des Tages, zur Kapelle Ermita de Betlem. Der Anstieg, der angenehm wellig startet, beginnt unmittelbar nach der Stadt. Der Weg nach Artà ist zugegebenermaßen sehr verkehrslastig, auch wenn man auf den oft breit ausgebauten Radfahrstreifen ruhig und sicher vorankommt. Sobald wir Artà hinter uns lassen, lassen wir auch den Verkehr hinter uns und fühlen uns in das verkehrsarme Hinterland von Korsika oder Ligurien zurück versetzt.

Die Aussicht reicht über das Mittelmeer bis zum Cap de Formentor. Auch beim Kaffee sind Sonne und Meerblick inklusive.

MEHR SCHAFE ALS MENSCHEN. Wir begegnen hier mehr Schafen und Ziegen als Mitmenschen – auch immer ein Zeichen dafür, die richtige Route gewählt zu haben. Auf dem Weg eröffnen sich wundervolle Ausblicke auf das Santuari de Sant Salvador. Etwa auf halber Strecke beginnen sich die Serpentinen durch die malerische Landschaft zu schlängeln. Die Ausblicke sind Balsam für die Seele, sodass ich immer wieder zu dem Schluss komme, dass Bergauffahren aufgrund der geringeren Geschwindigkeit immer nahrhafter ist als Bergabfahren. Man kann die Landschaft und Ruhe richtig aufsaugen. Das sind für mich die schönsten Momente. Abgesehen von zwei anderen Radfahrerinnen treffen wir hier auf niemanden und erreichen bald den Coll des Pescadors.

ATEMBERAUBEND. Uns eröffnet sich ein atemberaubender Blick auf das Mittelmeer bis hin zum Cap de Formentor. Wir halten einen Moment inne, ehe es bergab Richtung Kapelle geht. Die Aussichten bleiben spektakulär und es empfiehlt sich, auf der Abfahrt vorausschauend zu bremsen, um die Landschaft in vollen Zügen und vor allem in voller Sicherheit genießen zu können. Einmal bei der Kapelle angekommen, dürfen wir über dieselben Serpentinen wieder retour fahren, denn hier hört auch die Straße auf. Der Coll de Pescadors ist ähnlich rhythmisch wie der Coll de Sóller – ein angenehmes Fahrerlebnis, um die Landschaft rundherum genießen zu können. Um die Runde abzuschließen, geht es für uns ans Meer Richtung Cala Millor. Nichts ist wohltuender als ein Café in der Sonne mit Blick aufs Meer – und das im November in kurzer Panier. Über Son Carrió und Son Negre gelangt ihr zurück nach Manacor und könnt den nächsten Zug Richtung Palma nehmen. 

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INFO

Café S’Economat: Sa Plaça, 1, 07110 Bunyola, Illes Balears

Café Es Refugi: Carrer del Pare Bartomeu, Caputxí, 1, 07110 Bunyola, Illes Balears

Cafeteria Ca’n Saraste: Carrer de Ciutat, 42, 07570 Artà, Illes Balears

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